Anna & Thomas

Text: Cagla Bulut

Fotos: Bernhard Poscher

Hofgarten Innsbruck, Oktober 2022

Anna ist 22 Jahre alt und sagt euphorisch, aber entschlossen “Ich will die Welt verbessern, ohne dass ich jetzt überheblich rüberkomme”. Was für viele wie ein jugendlich utopischer Gedanke klingen mag, überzeugt Anna mit ihren klaren Worten und bisherigen aussichtsreichen Taten aber vom realistischen Gegenteil. Sie hat ihren Bachelor in Geografie abgeschlossen und wollte anschließend “Naturgefahren” studieren, weil sie schon seit ihrer Kindheit ein großes Interesse für Schneelawinen hatte. In Innsbruck gab es diesen Studiengang aber nicht. Für viele hätte es bei solch einem Szenario wohl zwei Optionen gegeben: sich für ein anderes Studium entscheiden oder in eine Stadt ziehen, in der es das Wunschstudium gibt. Aber Anna hat eine dritte Option ins Leben gerufen: Sie hat auf eigener Faust ein Curriculum für ihr Traumstudium zusammengestellt und es beim Vizerektorat für Lehre und Studierende eingereicht. Vier Monate musste sie auf den Bescheid warten, heute studiert sie das von ihr selbst entworfene Studienprogramm. So viel zu “thinking outside the box” oder wie Anna sagen würde “ich bin schon immer die Extra-Meile gegangen”.


Thomas ist 23 und sagt, er sei zu faul gewesen, sich seinen Master selbst zusammenzustellen, doch sein Alltag zeugt von alles anderem als Faulheit. Er studiert Bau und Ingenieurwesen an der Universität in Innsbruck und begeistert sich für den Bergsport, besonders fürs Skifahren. In seiner Freizeit engagiert er sich gemeinsam mit Anna und vielen weiteren Freiwilligen bei der globalen Non-Profit-Organisation POW “Protect Our Winters” für den Klimaschutz. Beweggründe für sein Engagement sind zum Großteil ein Resultat des erkenntnisreichen Austausches mit seiner Familie. Über Erzählungen von seinen Urgroßeltern erfuhr er hautnah, wie stark sich die Gletscher über die Jahrzehnte verändert haben. Sein Vater ist in der Landwirtschaft aufgewachsen, “da hört man immer öfter von schlechteren Ernten, Probleme. Bei der Wasserversorgung und Extremwetterschäden”, sagt er. Doch es sind nicht nur die Aussagen der älteren Generationen, die ihn beunruhigen. “Mit ungefähr fünf, sechs Jahren hatten wir bei uns daheim immer viel Schnee, in den wir ohne Gefahr von zwei Metern hineinspringen konnten. Wir haben Schneehöhlen gebaut und waren tagelang draußen mit dem Schnee beschäftigt. Meine Cousins, die fünfzehn Jahre jünger sind, haben selten Schnee gesehen und das finde ich”, er sucht nach dem richtigen Wort “kacke”. Er lacht bei seinem letzten Wort, doch sein Blick wirkt besorgt.

Persönlich finde ich es schon schwierig, bei all den negativen Nachrichten hinsichtlich des Klimawandels nicht zu verzweifeln.
– Anna

Mit neun Jahren hat Anna zum ersten Mal erlebt, wie der Herkunftsort ihrer Eltern in einer obersteirischen Gemeinde eine ganze Woche lang von der Außenwelt abgeschnitten war, weil die Zufahrtsstraße aufgrund von Lawinengefahr abgesperrt werden musste. Einer der Schlüsselmomente, die Anna zum Hinterfragen gebracht hat “Wie entstehen diese Naturgefahren?” Und vor allem: “Was kann man gegen sie tun?”

Beide wirken extrem reflektiert, reif und verantwortungsbewusst. Das Miterlebte und die Erzählungen haben sie nicht in eine Ohnmacht fallen lassen, sondern in Bewegung versetzt. Sie übernehmen gemeinsam und ehrenamtlich die redaktionelle Arbeit von POW in Österreich und bemühen sich die Natur, das Klima und nicht zuletzt die Winter durch rechtliche Maßnahmen zu schützen. Auch in ihrem privaten Umfeld versuchen sie durch offene Dialoge immer mehr Bewusstsein für die Themen rundum den Klimaschutz zu schaffen.

Dabei opfern sie einen großen Teil ihrer Freizeit und es ist oft hart, optimistisch in die Zukunft zu blicken. “Persönlich finde ich es schon schwierig, bei all den negativen Nachrichten hinsichtlich des Klimawandels nicht zu verzweifeln”, sagt Anna, als wir über Klima-Angst sprechen. “Es ist oft frustrierend, so viel Zeit in die Organisation zu stecken und sehr wenig Erfolge direkt zu sehen”, erklärt Thomas, doch bleibt zuversichtlich “Aber wenn man ein bisschen länger dabei bleibt und ein bisschen genauer hinschaut, merkt man, dass sich etwas bewegt.”

Anna fügt hinzu, dass es ein Stück Hoffnung für sie ist, wenn sie in der Generation ihrer Eltern beobachtet, wie sich viele zunehmend für öffentliche Verkehrsmittel entscheiden, obwohl das Auto einst der Inbegriff von Freiheit für sie war.

Es bewegt sich wohl wirklich etwas in die richtige Richtung. Und sie sind beide zweifellos mitbeteiligt daran.

Zurück zum Anfang