Mahnaz

Text: Cagla Bulut

Foto: Emmanuel Kaser

Innsbruck, November 2023

Letztes Jahr verlor Mahnaz ihre Schwester, sie war wie ihr Zwilling, sagt sie. Heute versucht sie mit dem Schmerz umzugehen und eine Perspektive für die Zukunft zu finden. Auf die Meinung anderer Menschen pfeift sie mittlerweile.


Als Mahnazs Familie aus Afghanistan vor den Taliban in den Iran flüchtet, ist sie noch nicht auf der Welt. Sie wird im Iran geboren und erzählt, als afghanische Minderheit ständig Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt worden zu sein. Als das Leben und die Zukunft der Familie komplett perspektivenlos erscheint, entscheidet sich ihr Bruder nach Österreich zu flüchten. Mit 12 Jahren kommt Mahnaz und der Rest der Familie nach.


Sie dachte, sie könnte hier aufatmen und eine neue Heimat finden, in der sie aufgrund ihrer Herkunft keine Ausgrenzung erleben muss. Doch es kam anders, sagt sie. Ohne Deutsch-Kenntnisse kam sie in die dritte Klasse einer NMS und wurde pausenlos gemobbt. Grund dafür war auch der Geruch des überfüllten Flüchtlingsheims, in dem sie lebte, erinnert sie sich, der sich an sie haftete und den sie nicht abbekam, egal wie oft sie duschen ging.


In dieser Zeit war ihre nur zwei Jahre ältere Schwester Latifeh ihr Anker. Sie konnte ein bisschen Englisch sprechen und verstand sich mit ihren Mitschüler:innen. In den Pausen fand Mahnaz Zuflucht bei ihr. Auch zu Hause bestärkten sich die Schwestern. Gemeinsam machten sie eine Onlinetherapie mit einer Therapeutin aus dem Iran, weil Psychotherapie in Innsbruck nicht zugänglich oder zu teuer war.

Ich mache viele Witze und bringe die Menschen in meiner Umgebung zum Lachen. Ich will einfach Spaß haben. Das alles zählt… die kleinen Dinge im Leben.

Neben ihrer Fluchtgeschichte bereitete der Community-Druck den beiden schlaflose Nächte. Jede Entscheidung, die sie trafen, ließen sie erst durch den Filter “Was würden die anderen denken?”, gehen. Dabei schränkten sie ihre eigene Freiheit ein. Etwas, was Mahnaz heute so nicht mehr tun würde: “Ich musste lernen, dass es egal ist, was die anderen denken. Ich mache mittlerweile das, was ich für richtig halte.”


Der Tod ihrer Schwester hat sie zu diesem Denken bewegt “Hätte sie gewusst, dass sie mit 26 Jahren stirbt, hätte ihr Leben vielleicht anders ausgesehen.” Heute ist es ihr wichtig Schritt für Schritt mehr Freiheit zu gewinnen und sich von den Meinungen anderer zu lösen.


“Ich bin viel offener geworden, früher war ich sehr verschlossen. Ich mache viele Witze und bringe die Menschen in meiner Umgebung zum Lachen. Ich will einfach Spaß haben. Das alles zählt… die kleinen Dinge im Leben.”


Noch hat sie keinen Weg gefunden, den Verlust ihrer Schwester und die Trauer zu verarbeiten. Sie hat ihren Job gekündigt, um, wie sie es sagt, ihre Wunden, ihre Seele und ihre Familie zu heilen. Auch die Natur tut ihr gut, besonders ihre Farben. Der Anblick, wie sich die Blätter in den Jahreszeiten färben, erfüllt sie mit Glück. “Ich denke mir dabei nur, das Leben ist schön.”

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