Nihal

Text: Çağla Bulut

Foto: Bernhard Poscher

Innsbruck, März 2024

Als Nihal an ihrem Gymnasium von ihren Lehrer:innen gemobbt wird, verliert sie nicht nur ihre Hoffnung auf ein Studium und eine Karriere, sondern ihre Lebensfreude und ein bisschen sich selbst. Heute studiert sie Jura und hat gerade mal mit 22 Jahren bereits in Kanzleien und an ihrer Fakultät gejobbt, doch das wichtigste: Sie hat gelernt, wieder an sich und ihre Fähigkeiten zu glauben.


Die Tatsache, dass ihre Wurzeln nicht irgendwo zwischen dem Patscherkofel und der Nordkette entspringen, sondern zwischen dem Bosporus und der Cilandiras führten dazu, dass sich Nihal am Franziskaner Gymnasium, einer katholischen Schule in Hall oftmals fehl am Platz fühlte. Als ihre drei besten Freund:innen – ebenfalls mit Migrationsgeschichte – in der Unterstufe sitzen bleiben und die Schule verlassen, fühlt sie sich fremder und einsamer denn je.


“Aus dir wird mal eine gute Anwältin”, ist eine der wenigen positiven Aussagen, die Nihal damals zu hören bekommt und an die sie sich klammert. Im Unterricht habe sie vieles hinterfragt, nichts einfach so hingenommen und damit vielen Lehrenden – manchmal gewollt, manchmal ungewollt – vor den Kopf gestoßen. Als Person mit Migrationsbiografie ist sie damit aber besonders negativ aufgefallen, sagt sie. Die Reaktionen darauf seien oft hart und unfair gewesen.


Mobbing, Diskriminierung und Selbstzweifel

Wenn sie an die Zeit zurückdenkt, fallen ihr unendlich viele Beispiele ein: Wenn sie eine Prüfung vergeigte, hieß es, sie solle die Schule aufgeben, die Matura würde sie eh niemals schaffen, ein Job im Supermarkt wäre das richtige für sie. Wenn sie bei teuren Ausflügen nicht teilnehmen wollte, wurde sie von ihren Lehrpersonen vor der gesamten Klasse “Migrantenkind” genannt, “das bei sozialen Aktivitäten eh nie mitmachen möchte”. Sie sagt, dass sie ständig erniedrigt wurde und konstant negative Kommentare über sich und ihre schulischen Leistungen bekam, sodass sie mit der Zeit diese negativen Erwartungshaltungen nur mehr bestätigen wollte und irgendwann selbst an dieses hoffnungslose Bild von sich glaubte.


“Wenn du sowas 9 Jahre lang 6 Stunden am Tag hörst, glaubst du irgendwann selbst daran”, erinnert sie sich stirnrunzelnd zurück, als könnte sie selbst nicht glauben, dass ihr das widerfahren ist. Sie erzählt von Schlaf- und Essstörungen und ständigen Angstzuständen.

Die bedrückende Schulzeit hat Nihal hinter sich gelassen. Sie mag ihr Jus-Studium und genießt das Campus-Leben.


Durch professionelle Hilfe die eigenen Stärken (wieder)erkannt

Als ihre Selbstzweifel nicht mehr auszuhalten sind, holt sie sich Hilfe und geht in Psychotherapie. Die Gespräche tun ihr gut und mit der Zeit erkennt sie wieder ihre Stärken und wer sie wirklich ist, fernab von dem negativen Bild, das die meisten Lehrpersonen von ihr haben.

Zivilcourage von ihren Mitschüler:innen habe es nie gegeben, die Unterstützung ihrer Eltern sei auch ausgeblieben. Nur eine einfühlsame Lehrerin, die sie im Konferenzzimmer mehrmals gegen andere Lehrende verteidigt haben soll, bestärkte sie zusätzlich.


Vor drei Jahren hat sie entgegen allen Erwartungen ihre Matura absolviert und mittlerweile wichtige Erfahrungen in einer Rechtsanwaltskanzlei als Sekretärin gesammelt. Sie glaubt zwar nicht, dass sie ein Leben lang als Rechtsanwältin arbeiten wird - da der Job viel zu anstrengend für sie wirkt - aber ihr Studium gefällt ihr gut. Die bedrückenden Zeiten aus der Schule hat sie hinter sich gelassen und arbeitet aktuell als studentische Mitarbeiterin mit ihrem wieder erlangten Selbstbewusstsein und genießt das Campus-Leben.

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