Melanie

Text: Leonie Werus

Fotos: Nico Hafele

Igls, Oktober 2022

Hier ist der Name Programm: Mit ihrem Piercingstudio Freigeist hat sich Melanie Reich im Alter von nur 19 Jahren den Traum von der Selbstständigkeit verwirklicht. Und das mit Erfolg. Mittlerweile ist ihr Laden weit über die Landesgrenzen hinaus zur angesagten Adresse geworden – und sie selbst zur knallharten Geschäftsfrau.


Samstagabend, kurz vor Geschäftsschluss. Die letzte Kundschaft verlässt gerade das Studio. „Und wenn irgendetwas ist, einfach melden. Abends und am Sonntag per WhatsApp.“ Die Tür wird versperrt und die Kassa geschlossen, das Licht geht im Normalfall aber noch lange nicht aus. Bis alle Geräte desinfiziert, Böden gewischt und Dokumente sortiert sind, dauert es meist ein paar Stunden, ehe sie nach Hause kommt, erzählt Melanie Reich. Zeit für Freunde? Hobbies? Unternehmungen? Mangelware. Stattdessen: Viele geschäftliche Termine, intensive Verhandlungen über Mietverträge und Behördengänge. Zugetraut hätten ihr das die wenigsten, doch sie hat es allen gezeigt.


Bereut hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit bisher nämlich keine Sekunde lang – zu groß sei ihre Leidenschaft für die Nadel. Entdeckt hat sie diese im zarten Alter von elf Jahren, als sie gemeinsam mit ihrer Mama zum ersten Mal an einem Studio vorbeispaziert ist. Heute – 38 eigene Piercings, eine Ausbildung am WIFI und zahlreiche unbezahlte Praktika später – hat sich die Jungunternehmerin ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Sie möchte die Piercingszene revolutionieren. Weg vom dunklen, schmuddeligen Hinterzimmer, hin zum offenen, stylishen Wohlfühlort: „Bei uns ist man nicht nur eine Nummer, wir nehmen uns für jeden ausreichend Zeit.“ Zeit, um eine Show abzuziehen, erzählt die Jungunternehmerin schmunzelnd, Zeit, um Ängste zu nehmen und um Vertrauen aufzubauen: „Was wir tun, ist schließlich schwere Körperverletzung. Da hat man große Verantwortung, es muss alles hinhauen.“

50.000 Piercings dürften es wohl schon gewesen sein. Willst du mein nächstes sein?“
– Melly

Bei aller Demut dürfte das Team rund um Melanie Reich in den letzten Jahren wohl nicht allzu viel falschgemacht haben, mittlerweile reist die Kundschaft bereits aus Vorarlberg, Deutschland oder Luxemburg an, um sich ihr Piercing zu holen. Warum, das lasse sich nicht verallgemeinern: „Viele betrachten es als Körperschmuck, manche nützen die Gelegenheit, mit uns zu quatschen, und wieder andere haben einfach einen miesen Tag und lassen auf diese Weise ihren Frust raus.“ Besonders zu Coronazeiten sei die allgemeine Stimmungslage im Keller gewesen, vor allem, wenn neue Maßnahmen verkündet wurden. Ansonsten habe sich die Krise nicht negativ auf die Geschäfte ausgewirkt – abgesehen von den 22 Wochen, in denen das Licht ausbleiben musste, versteht sich. Im Gegenteil: Aktuell liefe es so gut wie noch nie.


Ob das in Zeiten von Rekordinflation und Teuerung so bleiben wird, darüber macht sich Melly, die Piercerin, wie sie gemeinhin genannt wird, lieber nicht zu viele Gedanken: „Natürlich bin ich mir bewusst, dass morgen alles vorbei sein kann, wenn sich die Leute diesen Luxus plötzlich nicht mehr leisten. Doch das ist eben der Preis dafür, auf eigenen Beinen zu stehen und die eigene Chefin zu sein.“ Wie viele Piercings sie in ihrem Leben wohl schon gestochen hat? Kurze Nachdenkpause. „50.000 dürften es wohl schon gewesen sein. Willst du mein nächstes sein?“

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