Yijun
Text: Denise Neher
Foto: Bernhard Poscher
Innsbruck, Jänner 2024
Um seinen Traum vom Pianisten und Dirigenten zu erfüllen, ist Yijun Shen als Jugendlicher ganz allein von China ausgewandert. Am Ziel angekommen ist er aber noch nicht.
Wenn Yijun Shen von seiner Heimat China erzählt, wirkt er ein wenig einsilbig und kommt immer wieder ins Stocken. Wenn er hingegen von seiner Liebe zum Klavierspielen erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. „Wenn ich Klavier spiele, fühle ich mich nicht einsam. Ich gehe dann quasi in einen Dialog mit dem Komponisten und versuche zu fühlen, was er mit dem Stück sagen wollte“, sprudelt es aus ihm mit viel Begeisterung heraus. Was denn eigentlich einen guten Konzertpianisten ausmache, will ich als nächstes von ihm wissen: „Bei der Technik gibt’s bei richtig guten Konzertpianisten kaum Unterschiede. Das interessante ist, was ein Pianist mit einem Stück macht. Der Charakter und die Erfahrungen fließen in das Klavierspiel mit rein“, erklärt Yijun und wirkt plötzlich gar nicht mehr so schüchtern wie sonst.
Yijun ist 20 Jahre alt. Er wohnt alleine in einer kleinen Wohnung in Innsbruck und studiert am Tiroler Landeskonservatorium Klavier und Dirigieren. Um seinen Traum vom Konzertpianisten wahr werden zu lassen, haben ihn seine Eltern mit 15 Jahren nach Bayern ins Internat geschickt. Das Deutschlernen war für Yijun zunächst ein harter Brocken. Er hat es aber gut geschafft und das Abitur sogar mit einem Notendurchschnitt von 2,2 abgeschlossen. Nach dem Abi kam Yijun aufgrund seines Klavier-Lehrers nach Innsbruck. Ihm gefällt es in seiner neuen Heimat gut und er möchte gern noch einige Jahre hierbleiben. „Mir gefällt in Innsbruck, dass ich die Fenster aufmachen kann und gute Luft habe. Mir gefallen die Berge, vor allem der Blick von der Nordkette runter auf Innsbruck“, erklärt der 20-jährige mit einem Lächeln im Gesicht.
Fern der Heimat
Yijun ist in einer der sieben ehemaligen Hauptstädte Chinas, in der elf Millionen-Metropole Hangzhou aufgewachsen. Sein Vater ist Tiefbau-Ingenieur, seine Mutter Hausfrau. „Für mich als sensiblen Menschen gab es in China zu viel Kontrolle, zu viel Einflussnahme der Politik im täglichen Leben und zu viel Konkurrenzdenken“, erklärt Yijun. Das Leben in China war für ihn deutlich anstrengender: „Hier fühle ich mich viel freier, kann sagen, was ich will und die Leute reden nicht ständig über die Arbeit.“ Im Sommer fliegt Yijun meistens für ein paar Wochen zurück in die Heimat. Da er oft ziemlich beschäftigt ist, hält sich sein Heimweh aber generell eher in Grenzen. Am meisten fehlt ihm das chinesische Essen, das doch ganz anders ist als das Essen in Österreich. Viele Zutaten für die traditionelle chinesische Küche bestellt er deshalb im Internet.
Schwarz-weiße Leidenschaft
Yijun spielt Klavier seit er 5 Jahre alt ist, und übt fast jeden Tag mehrere Stunden in einem Übungsraum im Konservatorium. „Meine Klavierlehrerin sagt, ich solle mal eine Pause machen für den Kopf, aber ich kann nicht.“ Beim Klavierspielen fühlt sich Yijun „wie in einer anderen Welt“. Sensibel zu sein, helfe ihm beim Klavierspielen sehr. Der begabte Musiker hofft nach dem Studium als Konzertpianist und Dirigent arbeiten zu können. Wo ist ihm eigentlich egal. „Für meinen Traum gehe ich überall hin“, erklärt er bestimmt und man glaubt es ihm.